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64. Ausgabe - März 2025

Ärzte in der Vertrauenskrise

Warum manche angehenden Ärzte in die Arroganz-Falle tappen

Kaum ein Berufsfeld erfährt so viel Interesse wie das der Ärzte. Mit seinen spezifischen Herausforderungen und Konfliktpotenzialen birgt ihr Berufsalltag vielfältige Möglichkeiten an spannungserzeugenden und dramatischen Situationsentwicklungen. Davon zeugen Arztromane und Krankenhaus-Serien als ganz eigene Mediengenres. Die Protagonisten sind hier oft Bilderbuch-Ärzte, denen dank ihres Feingefühls, ihrer Freundlichkeit und medizinischer Finesse von allen Seiten Beliebtheit entgegenschlägt. Hin und wieder – und im „wirklichen Leben“ noch viel öfter – kommen ganz andersgeartete Ärzte ins Spiel, die mit ihrem arrogant und abschätzig wirkenden Auftreten nicht nur in der Klinik- oder Praxisbelegschaft, sondern vor allem bei den Patienten für Gefühle des Unbehagens sorgen.

Wohl die allermeisten sind in ihrer Krankheits- oder Vorsorgeerfahrung bereits an den einen oder anderen am Patienten völlig uninteressiert wirkenden Arzt geraten. So mancher gesetzlich krankenversicherte Klinikinsasse fühlt sich herabgestuft, wenn er mitbekommt, wie gleich eine ganze Ärzteschar dem privatversicherten Bettnachbarn ihre Aufwartung macht, während man selbst keines Blickes gewürdigt wird und in der Visite zuvor im Eilverfahren abgefertigt wurde. In seinen Gefühlen nicht erstgenommen wähnt sich der frischgebackene Asthma-Patient, dem der Allergologe eiskalt anrät, das heißgeliebte Haustier wegzutun, als sei es ein abgenutztes Billig-Möbelstück. Entrechtet und in seiner Würde verletzt fühlt sich der Praxisbesucher, der eigene Einschätzungen zu seinem Fall äußert und dafür einen kurzen, abschätzigen Blick erntet, der sagen soll: „Ich bin der Arzt, und ich stelle hier die Diagnosen!“

Viele, die sich von der Schulmedizin ab- und alternativmedizinischen Heilverfahren zuwenden, begründen dies mit ihren unerträglichen Gefühlserfahrungen bei der Konsultation mit Ärzten des arroganten Kalibers. Um sich weitere Erfahrungen dieser Art zu ersparen, vertrauen sie ihre Chancen auf Heilung oder Symptomlinderung lieber einem Heilpraktiker an – wissend, dass dieser in der Regel nicht annähernd so gut ausgebildet ist wie der universitär qualifizierte und behördlich zugelassene Mediziner.

Wer außerhalb des für Ärzte verbindlichen Heilberufe-Kammergesetzes einen Heilberuf ausüben möchte, kann über das Gesundheitsamt eine Heilpraktikererlaubnis erwerben. Hierfür hat er unter anderem eine schriftliche Prüfung im Multiple-Choice-Verfahren zu bestehen, bei der es unter den 60 vorgelegten Fragen mindestens 45 richtig anzukreuzen gilt. Während für das Medizin-Staatsexamen bei Nichtbestehen maximal zwei weitere Versuche zugelassen sind, darf die nichtbestandene Heilpraktikerprüfung beliebig oft wiederholt werden. Wenn auch die Durchfallquote mit rund 50 Prozent relativ hoch ist, ist das Prüfungsniveau nicht annähernd mit dem des Medizinstudiums zu vergleichen. Wie es auf der Website der Deutschen Heilpraktikerschule heißt, dient die Überprüfung nicht dem Nachweis umfassender praktischer und theoretischer medizinischer Kenntnisse, wie sie dem werdenden Arzt abverlangt werden, sondern „zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung laut Heilpraktikergesetz“.

Während der angehende Heilpraktiker zur Prüfungszulassung ein Mindestalter von 25 Jahren und einen Hauptschulabschluss nachweisen muss, hat derjenige, der hierzulande ohne mehrjährige Wartezeit einen Studienplatz in Humanmedizin ergattern möchte, einen Abiturschnitt von 1,0 vorzulegen. Besagte Studienplätze werden zum größten Teil also nur an die allerbesten und begabtesten Abiturienten vergeben. Werdegang, Beruf und Habitus des Arztes haftet somit etwas ausgesprochen Elitäres an.

Anerzogen, einstudiert

Wie die jüngsten Befragungen der Studierendenwerke zeigen, stammt nach wie vor der überwiegende Teil der Studenten aus Akademikerhaushalten. Das gilt im Besonderen für die Studierenden der Humanmedizin. Nur 30 Prozent kommen aus einem Elternhaus mittlerer Bildungsherkunft (beide Elternteile mit nichtakademischem Berufsabschluss) oder niedriger Bildungsherkunft. Junge Menschen, die einem Haushalt mit mindestens einem akademischen Elternteil und hohem Anregungsgehalt entstammen, gehen dabei meist mit einem deutlichen Bildungsvorsprung ins Medizinstudium. Die Abkömmlinge aus den mittleren und niederen gesellschaftlichen Bildungssphären geraten hierbei meist ins Hintertreffen. Sie „holen nur langsam auf, was ihnen ihre Eltern nicht an Bildung mitgeben konnten – bis zum Abitur haben sie oft noch nicht zu den Akademikerkindern aufgeschlossen“, heißt es hierzu in einem Beitrag auf zeit.de.

Obwohl von der Abiturnote her gleichrangig, heben sich viele Akademikerabkömmlinge in puncto Lebenskultur von Mitstudierenden aus den unterlegenen Bildungssphären ab. Mit ihrem Herkunftsbewusstsein und ihrem Auf-Distanz-Gehen mit weniger etablierten Gesellschaftsschichten bringen jene Kulturmuster mit, die die Chancen auf positive Arzt-Patienten-Beziehungen von vorne-herein schmälern können.

Ursachenlegungen zu weiteren Hemmnissen dieser Art erfolgen schließlich in einem besonderen Abschnitt des Humanmedizinstudiums. Hier sind nun alle Studierenden unterschiedslos betroffen. Die Rede ist hier vom sogenannten Praktischen Jahr, in dem die Medizinstudenten in der Schlussphase ihres Studiums im Krankenhaus arbeiten, um das theoretisch Erlernte praktisch umzusetzen. Spezielle Einblicke in diesen Studienabschnitt liefert das Buch Diversität in der humanmedizinischen Ausbildung (2015) von Houda Hallal, Gesundheitssystem-Analytikerin an der Universität zu Köln. Die Wissenschaftlerin thematisiert darin die Feststellungen im Zuge ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit in der medizinischen Landschaft. 

Wie Hallal schreibt, nimmt im Praktischen Jahr das Einüben eines krankenhausarztspezifisch genormten Verhaltensstils einen inoffiziellen, aber sehr prägnanten Schwerpunkt in der Ausbildung ein. Hierin kommt es zur Durchsetzung von festgefahrenen kulturspezifischen Rollenvorstellungen. Neben der hierarchischen Postulierung der unanfechtbaren Autorität des Chefarztes geht es auch darum, sich eisern gegen „schwierige Patienten“ durchzusetzen – nämlich solche, deren „Wünsche, Vorstellungen und Erklärungen für die eigene Erkrankung nicht in den Krankenhausalltag passen wollen“, wie es in einer Besprechung von Hallals Buch auf zeit.de heißt. 

Doch nicht lediglich anerzogene Standesdünkel und die im Praktischen Jahr einsuggerierten Rollenmuster prägen den Denk-, Gesprächs- und Verhaltensstil vieler Medizinstudenten und lassen sie später als Arzt „arrogant rüberkommen“. Ein Missstand, der der Medizin als Universitätsdisziplin schon lange anhaftet und von dem wiederum alle Studierenden berührt sind, ist die nahezu ausschließlich naturwissenschaftliche Ausrichtung. In puncto Menschenbild geht die naturwissenschaftliche Theorie vom Menschen als einem Wesen aus, das die Beschaffenheit der Dinge in der Welt, ihre Wirkung zueinander und die zwischen ihnen wirkenden messbaren Kräfte „erklärt“ haben möchte. Wie im Ausdruck „erklären“ anklingt, geht es um „Klarheit“, um eine Qualität also, die in erster Linie mit dem Sehsinn zu tun hat.

Die Naturwissenschaft befasst sich also mit Wirklichkeitsaspekten, die sich mit den Sinnesorganen wahrnehmen lassen – die man sehen, hören, riechen, schmecken oder ertasten kann – und die sich konkret messen lassen. Aspekte, die man nicht sinnlich wahrnehmen kann und nur rein denkbar sind, werden in der naturwissenschaftlichen Theorie als abstrakt und irrelevant abgetan. Philosophen bezeichnen diese Denkhaltung  unter anderem als Sensualismus, Zu den als irrelevant verworfenen Aspekten gehören nun auch solche, die für die meisten Menschen von großer Wichtigkeit sind – nämlich Vernunft, Liebe, Moral, (Menschen-)Würde, Bewusstsein, Güte, ideeller Wert, Glauben und so weiter.

Nicht alle Studenten der Humanmedizin – wie auch Studierende in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen – eignen sich im Zuge des jahrelangen Einpaukens von naturwissenschaftlich geprägtem Lernstoff einfach nur Wissen an. Manche tappen in die Sensualismus-Falle und integrieren das theoretisch zugrundeliegende Welt- und Menschenbild fest in ihren Denk- und Verhaltensstil. In ähnlicher Weise, wie sie die Wirklichkeit der Welt auf die Summe ihrer wahrnehmbaren Teile reduzieren, ist ihr Menschenbild von der Tendenz geprägt, den einzelnen Menschen auf die Summe seiner Organe zu beschränken. Das, was den Menschen innerlich ausmacht – seine Wert- und Moralvorstellungen, Überzeugungen und psychischen Bedürfnisse – erachtet er als weitgehend bedeutungslos. Ein Patient, der an einen solcherart gesinnten Arzt gerät, kann sich schnell degradiert und in seiner Persönlichkeit unzureichend wahrgenommen fühlen.

Vertrauen und Respekt

Die genannten lernbiografischen Faktoren – der anerzogene Standesgeist und das im Studium erworbene Rollenverständnis als Arzt und aufs Stoffliche reduzierte Welt- und Menschenbild – können sich verhärtend in den Denk-, Gesprächs- und Verhaltensstil eines Medizinstudenten einprägen. Ärzte, die diese eingefleischte Haltung in ihre Krankenhaus- oder Praxistätigkeit mitbringen, werden von den Patienten oft als arrogant und wenig vertrauenerweckend beurteilt.

Dabei ist Vertrauen das zentrale Element in einer gut abgestimmten Patienten-Arzt-Beziehung. Wenn heutzutage auch viele alternativmedizinische oder verschwörungstheoretische Ressentiments gegen Schulmediziner kursieren, gibt es doch keine Berufsgruppe, der mehr Vertrauen entgegengebracht wird. Im Vertrauen auf das medizinische Fach-Knowhow bieten sich kranke Menschen völlig ihren Ärzten dar, verlassen sich auf deren Arzneien und Dosierungsanweisungen und erdulden einschneidende Behandlungen. Für letztere oft lassen sie sich vorübergehend in die völlige Wehr- und Wahrnehmungslosigkeit versetzen. Und nicht zu vergessen sind hier die Eltern, die Ärzten ihre kranken Kinder anvertrauen.

Mit dem Prestige des außergewöhnlichen Vertrauensvorrechts wird dem Arzt immer schon eine besondere Ehrfurcht entgegengebracht. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Verehrung des Asklepios oder Äskulap, des Gottes der Heilkunst, in der altgriechischen Religiosität (siehe kleine Abbildung). Dass bei der Betrachtung des Arztberufes beim heutigen aufgeklärten Menschen immer noch Mythologisches mitschwingt, lässt die Bezeichnung „Halbgott in Weiß“ erahnen. 

Da bereits von den alten Griechen die Rede war: Ein Großteil des medizinischen Wortschatzes stammt aus dem Altgriechischen, wie etwa Chirurg, Anästhesie, Prognose, Anamnese oder Pneumonie*. Ein besonderer Stellenwert kommt indes dem ebenfalls aus dieser Sprache stammenden Wort „Therapie“ zu. 

Interessanterweise wohnt dem Verb therapeúo nur in einem Nebensinn die Bedeutung von „heilen“ oder „pflegen“ im heutigen Verständnis inne. In der ursprünglichen Sprachverwendung wurde es primär im Sinne von „ehren“, „hochachten“ oder „freundlich behandeln“ gebraucht. Damit deutet sich an, welche Gefühle ein Patient durchleben mag, an dem ein in die Arroganz abgeglittener Arzt eine Therapiemaßnahme durchführt. Den Bedeutungsfrevel an den alten Therapiebegriff hauchzart erahnend, muss er dabei hinnehmen, dass ihm die als Krankheitsleidendem besonders zustehende „Achtung“ und „freundlich-ehrende Behandlung“ schmerzlich versagt bleiben.

Idee zur Reform

Zur Kompensierung der besprochenen Missstände wäre eine kleine Reform des Medizinstudien-Lehrplans anzudenken. Für Abhilfe sorgen würde hier die Einführung eines prüfungsrelevanten Pflichtmoduls mit soziologischen und moralphilosophischen Lerninhalten, die der Arroganz-Affinität des herkömmlichen Medizinstudiums tüchtig zu Leibe rücken. Dass sich mit dem diesmal nicht rein naturwissenschaftlich, sondern entschieden geisteswissenschaftlich gewichteten Lernmodul ganz schnell vieles bewirken ließe, darauf lassen all die 1,0-Abiturzeugnisse schließen. Die überaus begabten, strebsamen und in allen Fächern starken Studenten würden sich diesen Lernstoff sicher ebenso nachhaltig einverleiben, wie sie es von jeher mit den Lerninhalten des herkömmlichen Humanmedizinstudiums tun.       pw 

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