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65. Ausgabe - April 2025

Nur noch Dienst nach Vorschrift?

Gründe für das Nachlassen der Arbeitsmoral in Deutschland

„Ein bisschen mehr Diensteifer bitte!“ – Das oder ähnliches bittet man sich – wenn auch meist nur stillschweigend – aus, wenn man in einem Geschäft, in einer Werkstatt oder bei einem Telefonservice-Gespräch an einen Mitarbeiter gerät, der keine besondere Lust an seiner Arbeit zu haben scheint. Wie eine neue Studie zeigt, ist die Arbeitsmoral hierzulande auf einen historischen Tiefstand heruntergekommen. Auf einen emsigen und engagierten Angestellten zu treffen, wird mehr und mehr zur Glückssache. Dass so viele nur noch zum „Dienst nach Vorschrift“ bereit sind, ist im Wesentlichen dem allgemeinen Krisenerleben geschuldet.

Wie der Gallup Engagement Index 2024 zeigt, fühlt sich nur noch eine rekordmäßig geringe Anzahl von Beschäftigten loyal an ihren Arbeitgeber und Arbeitsbetrieb gebunden. Zum ersten Mal, seitdem das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup die alljährlichen Befragungen zur Mitarbeiterbindung durchführt, ist der Anteil der sich noch hochgradig verpflichtet fühlenden Arbeitnehmer in den einstelligen Prozentbereich abgerutscht. Während gemäß dem 2023er-Index noch 14 Prozent so empfanden, beläuft sich der zuletzt festgestellte Anteil der loyal gebliebenen Angestellten auf mickrige neun Prozent.

Wie es des Weiteren im Studienbericht heißt, habe nur noch etwa jeder zweite Arbeitnehmer vor, länger als ein Jahr in seinem derzeitigen Beschäftigungsverhältnis zu bleiben, rund 35 Prozent möchten das noch mehr als drei Jahre. 78 Prozent der in Deutschland Beschäftigten – und damit elf Prozent beziehungsweise knapp zwei Millionen Arbeitnehmer mehr als in der Vorgänger-Studie – verrichten inzwischen nur mehr noch „Dienst nach Vorschrift“. Angestellte, die in ihrem Herzen bereits gekündigt haben und nur noch das Nötigste arbeiten, nehmen sich für ein Unternehmen wie pures Gift aus. Die Studienautoren gehen davon aus, dass die um sich greifende Arbeitnehmer-Demoralisierung eine volkswirtschaftliche Produktionsminderung zwischen 113 Milliarden und 135 Milliarden Euro nach sich zieht.

Diese Verlustspanne, die im Verhältnis zirka drei Prozent des letztjährigen Bruttoinlandprodukts der Bundesrepublik ausmacht, trägt somit ihren Teil zur gegenwärtigen Krisenstimmung bei. In diesem Zusammenhang nimmt es sich geradezu grotesk aus, dass es laut Erklärungsversuch eben die vorherrschende Wirtschaftskrise sei, die sich so lähmend auf die Arbeitsmoral der hierzulande Beschäftigten auswirkt. Das Verkehren der Ursache in die Wirkung und der Wirkung in die Ursache lässt die ganze Problemlage in einem irrkreisenden, unentrinnbaren Dilemma erscheinen. 

Wenn auch – wie es im Studienbericht heißt – die Arbeitnehmer hierzulande auf den Sparkurs vieler Unternehmer, die schlechte Auftragslage, die schmerzlichen Teuerungen und all die anderen Anzeichen der krisengebeutelten Konjunktur lange Zeit „bemerkenswert widerstandsfähig“ reagiert haben, seien sie darunter inzwischen recht mürbe geworden. 

Ihre frühere Zuversicht sei in eine „Art Endzeitstimmung“ umgeschlagen, erklärt der Psychologe und Geschäftsführer des Kölner Marktforschungsunternehmens rheingold Stephan Grünewald in einem Beitrag auf wdr.de. Das Motiv hinter diesem Stimmungswechsel sei nichts anderes als der Wunsch, die letzten Tage, die uns allen „noch in der alten Wirklichkeit bleiben, halbwegs geruhsam, aber auch gesichert zu Ende zu bringen“. Die von Grünewald erwähnte Geruhsamkeit zeige sich dabei vor allem in der Tendenz vieler hierzulande Beschäftigter, sich ins Private zurückzuziehen. Dazu gehöre auch die von vielen gehegte Vorliebe für das Arbeiten von zuhause aus. „Das Homeoffice sei zwar bequem und produktiv“,verändere jedoch  „Teamstrukturen und sorge dafür, dass die Bindung ans Unternehmen nicht so groß sei“, heißt es hierzu auf wdr.de.

Für einen weiteren mörderischen Einfluss auf die Arbeitsmoral sorge dabei das ständige Erleben der „Alltags-Sabotage“. Darunter fasst Grünewald all die Unwägbarkeiten infolge unserer kränkelnden Infrastruktur zusammen – allen voran streikbedingte Ausfälle des öffentlichen Nahverkehrs und der Kindertagesstätten. In solchen Fällen habe man einfach „nicht die Kapazität, um seiner Arbeit nachzugehen“.

Der vielbeklagte Mangel an Arbeits- und Fachkräften stelle laut Gallup-Mitautor Marco Nink einen zusätzlichen demoralisierenden infrastrukturellen Notstand dar. Hierbei fühle sich die Hauptmasse der Beschäftigten keineswegs ihrem Arbeitgeber gegenüber speziell verpflichtet – etwa, um ihm über diesen Mangel hinwegzuhelfen. Ganz im Gegenteil: In dem Bewusstsein, dass sie selbst als Arbeits- und Fachkräfte etwas Heißbegehrtes darstellen und daher jederzeit anderswo eine Anstellung finden würden, schätzen die meisten Beschäftigten „ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin positiv ein“. Dies wiederum entbinde sie weitgehend von einem Loyalitäts- und Verpflichtungsgefühl gegenüber ihrem derzeitigen Arbeitgeber.       
 pw

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April 25
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