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69. Ausgabe - September 2025

Völkerverständigung beginnt bei uns

Über Wurzeln, Brücken und die Kraft der Begegnung

Paris, ein warmer Spätsommertag. Ich stehe vor den Verkaufsständen von Bildern und Ansichtskarten in Sichtweite zu Notre Dame, umringt von Stimmen in vielen Sprachen. Ein französischer Händler, mit dem ich ins Gespräch komme, sagt nachdenklich: „Wir haben Angst, unsere Kultur zu verlieren. Und doch wissen wir, ohne Deutschland und unsere gemeinsamen Wurzeln sind wir unvollständig.“ Seine Worte hallen nach. Sie berühren etwas, das tiefer reicht als Politik oder Diplomatie. Es ist das Bewusstsein, dass Völkerverständigung nicht in Parlamentsgebäuden entsteht, sondern zwischen Menschen. Im Alltag, im Gespräch und im Erinnern.

Wenn wir zurückschauen, stoßen wir auf einen Mann, der noch heute als Symbol einer europäischen Idee gilt. Karl der Große vereinte Länder und Völker, deren Grenzen heute mitten durch Europa laufen. Er war kein Heiliger und kein Friedensfürst. Dennoch war er ein Bindeglied, das bis heute wirkt. Aachen und Paris, deutsche und französische Traditionen tragen Spuren dieser gemeinsamen Vergangenheit. Noch heute sind die Orte, an denen er wirkte, lebendige Zeugnisse einer Zeit, in der sich das Bewusstsein einer europäischen Gemeinschaft zu formen begann. Auch in der Philosophie finden wir Brücken. Goethe, der in Straßburg studierte und sich von der französischen Kultur inspirieren ließ, wurde auf beiden Seiten des Rheins gelesen. Seine Begeisterung für die französische Sprache, für Literatur und Architektur, floss in sein Werk ein und machte es zu einem Band zwischen beiden Ländern. Solche Beispiele zeigen, dass Gedanken und Dichtung Mauern überwinden können. Und wer heute durch das Schloss Herrenchiemsee wandert, erkennt sofort die Sehnsucht Ludwigs II. nach Versailles. Die Parallelen der Architektur sind unverkennbar. Es ist eine Brücke aus Stein und Marmor, die Bayern und Frankreich miteinander verbindet.

Kultur, die verbindet und die wir weitergeben müssen
Verständigung geschieht nicht nur in der großen Geschichte. Sie lebt in kleinen Begegnungen. Im Schüleraustausch, der jungen Menschen zeigt, dass die anderen gar nicht so anders sind. In Abenteuerreisen, die Freundschaften über Grenzen hinweg entstehen lassen. Und wenn die Politik bei der Verständigung versagt, ist es umso wichtiger, dass Menschen selbst handeln. Über Grenzen hinweg, im direkten Austausch und im Alltag. Auch in den vielen Städtepartnerschaften, die mit Festen, Kulturabenden, Vereinsbesuchen und Austauschprogrammen das Verbindende feiern. Besonders spürbar wird das im Elsass. Wer den Dialekt hört, erkennt sofort die deutschen Wurzeln. Wörter klingen vertraut, Bruchstücke lassen sich verstehen. Elsässisch ist eine lebendige Brücke zwischen zwei Welten. Doch diese Brücke droht zu bröckeln. „Die jungen Leute sprechen fast nur noch Französisch“, erzählen mir ältere Elsässer. „Nur weil wir als Eltern im Alltag zu schnell aufgaben.“ Dabei wäre es für Kinder ein Leichtes, beide Sprachen zu beherrschen. Sie hätten damit eine Brücke ins Nachbarland in sich selbst.

Sprache ist Identität. Sie ist auch ein Geschenk und eine Einladung, den anderen besser zu verstehen. Vielleicht liegt genau darin ein Schlüssel für unsere Zukunft. Wer eine andere Sprache lernt, lernt immer auch einen anderen Blick auf die Welt kennen. Jede Vokabel, jede Redewendung öffnet ein neues Fenster.

Zeichen der Einheit
Auch Symbole erzählen von dieser Nähe. Erinnern wir uns an den ECU, die erste gemeinsame Währung Europas. Er war nicht nur der Vorläufer des Euro. Er war auch ein Vertrauenssignal. Millionen Menschen hielten die Münze in Händen und spürten, dass hier ein gemeinsames Projekt Gestalt annahm. Es war ein kleiner, aber entscheidender Schritt, der zeigte, dass Zusammenarbeit möglich ist. Auch die Kultur erzählt von dieser Nähe. Gotische Kathedralen streben in Frankreich und in Deutschland dem Himmel entgegen. Die Musik von Bach bis Debussy kennt keine Grenzen. Dichter und Komponisten reisten über den Rhein, ließen sich inspirieren und gaben ihre Einflüsse weiter. Und selbst im Alltag begegnet uns die Verbindung. Französische Croissants liegen selbstverständlich auf deutschen Frühstückstischen. Deutsches Bier fließt in Straßburger Kneipen. Märkte, Feste und Urlaubsreisen schaffen neue Brücken, die oft fester sind als politische Verträge.

Gemeinsame Wurzeln gemeinsame Zukunft
Mein Gespräch in Paris hat mir gezeigt, dass die Sorge um den Verlust der eigenen Kultur groß ist. Ebenso groß ist die Sehnsucht, wieder stärker zusammenzustehen. Arc de Triomphe und Brandenburger Tor, Herrenchiemsee und Versailles, Elsass und Bayern sind keine Gegensätze. Sie sind Spiegel einer gemeinsamen Geschichte, die uns bis heute prägt.

Völkerverständigung beginnt im Kleinen. Im Mut, das Verbindende zu suchen. Im Vertrauen, dass Vielfalt nicht trennt, sondern bereichert. Und im Erinnern, dass unsere Geschichte uns längst miteinander verflochten hat. Es sind diese alltäglichen Begegnungen, die Schritt für Schritt ein Fundament bauen, auf dem Politik erst später stehen kann. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir diese Wurzeln neu entdecken. Nicht, weil die Politik es fordert, sondern weil wir es als Menschen wollen. Und vielleicht merken wir gerade in den scheinbar kleinen Gesten, wie groß die Kraft der Begegnung ist.                                                                                                                                                                                                              
 alf

Anker 1
April 25
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